Conspiracy theories have never been limited by geopolitical borders. In today’s digital age, advancements in technology have amplified interactions between individuals and groups worldwide, accelerating the spread of such ideas across nations. This work by Xixuan Zhang, Joana Becker, Dr. Annett Heft, and Dr. Kilian Buehling explores into methods for measuring the transnational dissemination of conspiracy theories, shedding light on their global reach.
The following text has been originally published in German on the NEOVEX website.
Verschwörungstheorien haben auch in der Vergangenheit nicht an geopolitischen Grenzen Halt gemacht. Doch die Entwicklungen digitaler Technologien haben das Potenzial für Interaktionen zwischen Einzelnen und Gruppen aus verschiedenen Ländern erheblich verstärkt. Diskussionsforen und soziale Medien ermöglichen die länderübergreifende Verbreitung von Inhalten ebenso wie den Aufbau von Netzwerken und Gemeinschaften, die Ländergrenzen überspannen.[1]
Eine Art von Erzählungen mit Potenzial für länderübergreifende Verbreitung und Aneignung sind Verschwörungstheorien. Der Bedeutungsgewinn digitaler Plattformen und Medien ist deshalb auch eng verbunden mit der zunehmenden Sichtbarkeit von Verschwörungstheorien, die Elemente rechtsextremer Ideologie wie Antisemitismus und Rassismus verbreiten und neu artikulieren. Terroranschläge – wie die in Christchurch oder Halle – sind extreme Beispiele dafür, zu welchen Bedrohungen die Rezeption und der Glaube an solche Erzählungen beitragen können. Und sie veranschaulichen auch, wie transnational vernetzt sich rechtsextreme Ideologie verbreitet.
Gründe für die länderübergreifende Anschlussfähigkeit von Verschwörungstheorien
Verschwörungstheorien sind einerseits tief in einer bestimmten Zeit und Kultur verwurzelt. Andererseits sind sie abstrakt und bieten so einen Rahmen, der in verschiedenen Situationen immer wieder neu gefüllt werden kann. Das gilt besonders für langlebige, sogenannte „systemische Verschwörungstheorien“.[2] Sie zeichnen sich durch ihre große Reichweite aus, da sie eine Gruppe beschuldigen, Entwicklungen weltweit zu kontrollieren um die Weltherrschaft zu erlangen oder zu erhalten.
Wir untersuchen exemplarisch eine solche systemische Verschwörungstheorie: Die des sogenannten „Großen Austauschs“. Diese Erzählung geht von einem geheimen Plan zur Minimierung der weißen Bevölkerung und der christlichen Kultur aus, umgesetzt beispielsweise durch die Förderung von Migration. Sie stellt in ihrer allgemeinen Form bereits dadurch eine transnationale Erzählung dar, weil sie angebliche globale Verschwörergruppen beschuldigt, im Verborgenen und über Ländergrenzen hinweg zu agieren. Häufig genannte Feindbilder sind Jüd*innen, „Globalisten“ oder die Illuminati, die oft mit internationalen Institutionen wie der EU oder der UN in Verbindung gebracht werden, die ihnen angeblich als Tarnung dienen würden.
Zusätzlich werden Verschwörungstheorien wie die des „Großen Austauschs“ weltweit von rechtsextremen Akteuren verbreitet, die Elemente verschwörungstheoretischer Pamphlete aus unterschiedlichen Ländern kombinieren. Um aktuelle politische Ereignisse zu erklären, werden die globalen Erzählungen dann durch Verschwörungstheoretiker*innen an den jeweiligen lokalen Kontext angepasst.
Um aktuelle politische Ereignisse zu erklären, werden die globalen Erzählungen dann durch Verschwörungstheoretiker*innen an den jeweiligen lokalen Kontext angepasst.
Verschiedene Faktoren können einen Einfluss darauf haben, inwiefern eine Verschwörungstheorie zu einem bestimmten Zeitpunkt nur in einem oder in verschiedenen Ländern sichtbar wird, und inwiefern sich die Erzählungen im Detail ähneln oder unterscheiden. Ähnlichkeiten in den kulturellen Merkmalen eines Landes, im politischen System oder in der Medienlandschaft von Ländern können dazu führen, dass Erzählungen sich ähneln und gleichzeitig prominent werden. Auch Ereignisse mit globalen Auswirkungen bieten gemeinsame Bezugspunkte, die zur Verbreitung von ähnlichen Verschwörungserzählungen in mehreren Ländern beitragen können.[3]
Wenn Politiker*innen ihre herausgehobene Stellung nutzen und Verschwörungstheorien verbreiten, kann das ihre Sichtbarkeit national und global erhöhen.[4] Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist Donald Trump, der sie gezielt in seiner Kommunikation einsetzt.[5] Gleichzeitig bieten nationale Konflikte einen Anlass, der zu sehr spezifischen Anpassungen allgemeiner Verschwörungstheorien und Erzählungen führen kann, die dann nur in einer bestimmten Region oder einem bestimmten Land zu finden sind.
Wie können wir transnationale Muster in der Verbreitung von Verschwörungstheorien erkennen?
Um die länderübergreifende Ähnlichkeit sowie die kontextspezifischen Besonderheiten der verschwörungstheoretischen Erzählungen rund um den sogenannten „Großen Austausch“ besser zu verstehen, haben wir deutsch- und englischsprachige Posts auf den Plattformen Reddit (Deutsch: N = 10.679 ; Englisch: N = 275.758) und dem damaligen Twitter (Deutsch: N = 328.750; Englisch: N = 1.343.816) sowie Artikel aus deutschen (N = 7.613) und US-amerikanischen (N = 4.792) Alternativmedien untersucht, die zwischen 2011 und 2021 veröffentlicht wurden und einen Bezug zu dieser Verschwörungstheorie aufweisen. Diese Daten dienen uns für einen Vergleich der Länder- bzw. Sprachräume.
Die untersuchten Plattformen und Medien sind wesentliche Bestandteile eines digitalen Ökosystems, über das Verschwörungstheorien zirkuliert werden. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich in ihren technischen und sozialen Eigenschaften sowie in Funktionen für Nutzende (mehr dazu im Blogbeitrag Plattforminfrastrukturen und die Verbreitung von Verschwörungstheorien), und darin wie über Verschwörungstheorien gesprochen wird (mehr dazu im Blogbeitrag Der Ton macht die Musik).
Wir nutzen zwei Indikatoren, um Transnationalität zu messen: Zum einen prüfen wir die Synchronität der Themenrelevanz, also inwiefern die Aufmerksamkeit für diese Verschwörungstheorie zu gleichen Zeitpunkten in verschiedenen Ländern/Sprachräumen vorhanden ist und sich mit ähnlicher Dynamik entwickelt. Zum anderen untersuchen wir, inwiefern es gemeinsame Bezugspunkte und Erzählmuster in diesen Diskursen gibt, die auf eine transnationale Verflechtung der Erzählungen hinweisen.[6] Sind solche Bezugspunkte und Erzählmuster zur gleichen Zeit in verschiedenen Ländern vorhanden, können wir das als Ausdruck einer gemeinsamen (kommunikativen) Gemeinschaft über nationale Grenzen hinweg interpretieren.
Die transnationale Dynamik in der Sichtbarkeit der Theorie vom „Großen Austausch“
Betrachten wir die Sichtbarkeit der Verschwörungstheorie eines „Großen Austauschs“ auf den genannten Plattformen, so zeigt sich, dass sie in bestimmten Foren auf Reddit und im Netzwerk Twitter im gesamten Zeitraum diskutiert wird und auch in alternativen Medien – wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß – an Resonanz gewonnen hat. Die absolute Anzahl von Beiträgen und Artikeln schwankt im Zeitverlauf, sie hat aber insbesondere auf Reddit und in der Berichterstattung alternativer Medien sowie in deutschsprachigen Inhalten zugenommen – besonders nach den Jahren 2013/2014 (siehe Abbildung 1).
In Bezug auf die länderübergreifende Thematisierung eines angeblich geplanten Austausches der weißen christlichen Bevölkerung lassen sich zwei Muster erkennen: Zum einen gibt es in englisch- und deutschsprachigen Inhalten nahezu synchrone Auf- und Abwärtsbewegungen der Diskussionen um diese Verschwörungstheorie. Dieses Muster zeigt sich auf allen untersuchten Plattformen, es deutet auf eine dynamische länderübergreifende Verflechtung der Erzählungen hin. In einigen Fällen scheinen englischsprachige Erzählungen die Aufmerksamkeitsdynamik anzuführen, während in anderen Fällen deutschsprachige Diskussionen für nachfolgende Aufmerksamkeit in den englischsprachigen Beiträgen zu sorgen scheinen. Gleichzeitig beobachten wir aber auch Aufmerksamkeitsspitzen, die nur in einem Sprach- und Länderkontext auftreten. Diese sind Anzeichen für länderspezifische Aneignungen der Verschwörungstheorie.
Abbildung 1: Verbreitung und Synchronität der Verschwörungstheorie „Großer Austausch“, englisch- und deutschsprachige Inhalte im Vergleich, nach Plattform.
Diese Muster näher zu untersuchen, ist Teil unserer Forschung im NEOVEX Projekt. Das folgende illustrative Beispiel zeigt, welche Faktoren zu einer transnationalen Überlappung der Verschwörungserzählungen führen können:
Im Herbst und Winter 2014 ist auf allen untersuchten Plattformen ein deutlicher Anstieg der deutsch- und englischsprachigen Inhalte im Zusammenhang mit der Erzählung vom „Großen Austausch“ zu beobachten. Dieser Anstieg beginnt im September 2014 mit einer Zunahme von Artikeln in deutschen Alternativmedien. Auf Twitter, Reddit und in US-amerikanischen Alternativmedien wird er im November 2014 deutlich und erreicht im Dezember 2014 seinen Höhepunkt.
Eine qualitative Auswertung der Beiträge und Artikel zeigt, dass diese erhöhte Sichtbarkeit weitgehend auf öffentliche Debatten über Migration, Islam und islamistische Gewalt zurückzuführen ist. Die 2014 in Deutschland entstandene PEGIDA-Bewegung („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) und ihre Botschaften sind nicht nur in deutschen, sondern auch in US-amerikanischen Beiträgen ein zentrales Thema. Mit der Erzählung einer angeblichen „Islamisierung“ westlicher Länder bereits im Namen der Bewegung ist die Verbreitung von Verschwörungen integraler Bestandteil der Botschaft der PEGIDA-Proteste.
Eine qualitative Auswertung der Beiträge und Artikel zeigt, dass diese erhöhte Sichtbarkeit weitgehend auf öffentliche Debatten über Migration, Islam und islamistische Gewalt zurückzuführen ist.
Die rechtsextreme Bewegung wurde im Oktober 2014 in Dresden gegründet. Sie organisierte regelmäßig Protestkundgebungen, deren Teilnahmezahlen schnell anstiegen und im Dezember 2014 und Januar 2015 ihren Höhepunkt erreichten. Als Reaktion auf globale Ereignisse und anhaltende öffentliche Debatten über das gewalttätige Vorgehen islamistischer Gruppierungen wie dem Islamischen Staat, etwa in Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg, nutzte PEGIDA die Gelegenheit, einwanderungs-, islam- und fremdenfeindliche Positionen in dominante öffentliche Diskurse zu integrieren, um gegen die aktuelle Migrationspolitik zu mobilisieren.[7]
Während die Bewegung in Deutschland an Dynamik gewann, beobachten wir neben der erhöhten nationalen Aufmerksamkeit auch eine transnationale Aufnahme der nationalen Kontroverse im englischsprachigen und US-amerikanischen Kontext. Dies betrifft den allgemeinen Diskurs über die Bewegung, ihren wahrgenommenen Erfolg sowie die Verbreitung ihrer Erzählungen. Migration und islamistische Gewalt als aktuelle Themen von internationaler Relevanz sind im Jahr 2014 bereits Gegenstand der öffentlichen Debatten in den USA. Die deutsche rechtsextreme PEGIDA-Bewegung mit ihrer strategischen Einbindung von Verschwörungstheorien bietet einen Anknüpfungspunkt und Inspiration für die einwanderungs-, islam- und fremdenfeindliche Agenda im englischsprachigen und US-amerikanischen Kontext.
Fazit
Unser Vergleich der öffentlichen Sichtbarkeit der Erzählung vom „Großen Austausch“ über Länder- und Sprachgrenzen hinweg zeigt, wie solche Erzählungen dazu beitragen können, rassistische Narrative weltweit zu festigen. In absoluten Zahlen hat diese Verschwörungstheorie auf den Plattformen Reddit und Twitter und auch in den untersuchten Alternativmedien über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg an Bedeutung gewonnen. In der Dynamik und in den Bezugspunkten der Erzählung lassen sich über die Zeit sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede erkennen. Die Theorie beinhaltet länderübergreifend ähnliche Kernbotschaften, sie wird aber auch an lokale Gegebenheiten und kulturelle Besonderheiten angepasst. Wie das Beispiel illustriert, werden solche lokalen Adaptionen unter bestimmten Umständen auch international aufgegriffen, was verdeutlicht wie flexibel und anpassungsfähig diese Erzählungen sind.
[1] Caiani, M., & Parenti, L. (2016). European and American Extreme Right Groups and the Internet (0 ed.). Routledge. https://doi.org/10.4324/9781315580845
Heft, A., Knüpfer, C. B., Reinhardt, S., & Mayerhöffer, E. (2021). Toward a Transnational Information Ecology on the Right? Hyperlink Networking among Right‐Wing News Sites in Europe and the United States. The International Journal of Press/Politics, 26(2), 484–504. https://doi.org/10.1177/1940161220963670
[2] Barkun, M. (2013). A Culture of conspiracy: Apocalyptic visions in contemporary America. In Comparative Studies in Religion and Society (2nd ed., Vol. 15). University of California Press.
[3] Busbridge, R., Moffitt, B., & Thorburn, J. (2020). Cultural Marxism: Far‐right conspiracy theory in Australia’s culture wars. Social Identities, 26(6), 722–738. https://doi.org/10.1080/13504630.2020.1787822
[4] Gagliardone, I., Diepeveen, S., Findlay, K., Olaniran, S., Pohjonen, M., & Tallam, E. (2021). Demystifying the COVID‐19 Infodemic: Conspiracies, Context, and the Agency of Users: Https://Doi.Org/10.1177/20563051211044233, 7(3). https://doi.org/10.1177/20563051211044233
[5] Cosentino, G. (2020). From Pizzagate to the Great Replacement: The Globalization of Conspiracy Theories. In G. Cosentino (Ed.), Social Media and the Post‐Truth World Order: The Global Dynamics of Disinformation (pp. 59–86). Palgrave Pivot Cham. https://doi.org/10.1007/978‐3‐030‐43005‐4_3
[6] Eder, K., & Kantner, C. (2000). Transnationale Resonanzstrukturen in Europa: Eine Kritik der Rede vom Öffentlichkeitsdefizit. In M. Bach (Ed.), Die Europäisierung nationaler Gesellschaften (Sonderheft, pp. 307–331). Westdeutscher Verlag.
Tobler, S. (2010). Transnationalisierung nationaler Öffentlichkeit: Konfliktinduzierte Kommunikationsverdichtungen und kollektive Identitätsbildung in Europa. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
[7] Vorländer, H., Herold, M., & Schäller, S. (2016). PEGIDA: Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung (1. Aufl. 2). Springer VS.